Meine "Slow Photography"...
Ein Essay über meine Art der Fotografie, die sehr stark in Verbindung mit meinem Zugang des Reisens als "Slow Traveler" steht.
Mit dem Begriff “Slow-Traveling” bin ich durch das wunderbare Buch von Dan Kieran mit dem Titel “Slow Travel” in Berührung gekommen. Darin beschreibt er, wie er mit Freunden in einem alten Milchwagen durch England reist, der nur eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h schafft. Zudem ist das Vehikel elektrisch und die Batterien können nur mit einem Starkstromkabel aufgeladen werden. So heißt es, sich jeden Abend auf die Suche zu machen und damit die Gastfreundschaft der Engländer auszuloten, wo das Fahrzeug aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts angeschlossen und aufgeladen werden kann… .
“Slow-Traveling" ist eine Art des Reisens, die gut in die heutige Zeit passt. Gerade jetzt, wo wir uns viele Gedanken um unser Klima machen und welche Beiträge jeder Einzelne zur Verbesserung erzielen kann, steht Reisen mit geringem CO2 Verbrauch im Vordergrund. Bewusstes Reisen dient auch dazu, ein Land, eine Region oder vielleicht auch nur einen Ort besser, intensiver kennenzulernen.
Es kann auch einfach ein "Flanieren" sein, ein Begriff, der im heutigen Sprachgebrauch kaum noch verwendet wird. Sich als "Flaneur" durch die Menge treiben lassen, mit dem Strom zu schwimmen und die Dinge um sich herum betrachten. Flaneure sind vor allem in Großstädten unterwegs. Aber warum nicht auch einmal durch die eigene nähere Umgebung "flanieren"?
In meiner näheren Umgebung bin ich schon manchmal in eine Gegend eingetaucht, die ich ob des täglichen und raschen Hindurchfahrens vernachlässigt habe. Wenn man der Pandemie, die uns in den letzten Jahren belastet hat, etwas Positives abgewinnen möchte, dann ist es die Tatsache, dass uns mangels Alternativen, die Möglichkeit eines Reisens vor der Haustüre aufgezeigt worden ist. Gar nicht weit weg von zu Hause lässt sich manchmal eine Welt entdecken, die man nicht immer vermutet. Oft sind es Details in der näheren Umgebung, die bei einem Spaziergang mit offenen Augen für Neues zum Vorschein kommen. Wenn man das Gefundene auch bildlich behalten möchte, sollte natürlich eine Kamera dabei sein. Zur Not tut es auch ein Smartphone. Bei mir ist es eindeutig ein Fotoapparat und nicht das Smartphone, obwohl das mittlerweile auch gute Bilder macht. Aber ich brauche den Blick durch einen Sucher, die Möglichkeit einer bewussten Bildgestaltung, die ich auf einem Display nur sehr ungern mache. Aber dazu später mehr.
Ein wesentlicher Punkt, der für mich als "Umgebungsreisender" dazukommt, ist “Entschleunigung”. Das bietet die Möglichkeit, sich vom Augenblick leiten zu lassen, den Moment bewußt zu spüren und aufzunehmen. Als Fotograf so zu reisen, bedeutet auch die Technik nicht in den Vordergrund zu stellen. Weniger Gepäck ist manchmal mehr, fördert Kreativität und belastet nicht. Ich schleppe nicht mehr jede Menge an Fotoausrüstung im Rucksack mit, damit ich für alle Eventualitäten gerüstet wäre. Zwei bis drei Festbrennweiten tun es auch und erleichtern (im wahrsten Sinn des Wortes) das fotografische Tun ungemein.
"Durch den Sucher der Kamera... konzentrieren wir uns auf das, was vor unserer Kamera ist. Wir sind dazu aufgefordert stehen zu bleiben, ruhig zu werden und uns ganz auf das einzulassen, was wir sehen. Dadurch, dass unsere Aufmerksamkeit ganz auf den Augenblick gerichtet ist, steht die Welt einen Moment lang still" (Nadin Wilmanns).
Diesen Aussagen, die die Fotografin Nadine Wilmanns in einem Artikel "Halte die Zeit" auf ihrer Webseite einmal geschrieben hat, schließe ich mich in vollem Umfang an. Auch ich versuche immer wieder, mich nur auf das zu fokussieren, was ich vor mir sehe und mich auf den Augenblick zu konzentrieren. Sich ganz auf das einzulassen, was gerade vor einem ist und dann in Folge im Sucher aufscheint, hilft Motive zu finden, an denen man sonst vielleicht vorbeigegangen wäre. Beim Fotografieren ist die Welt für mich schon oft für einen Moment lang still gestanden, weil ich etwas gefunden habe, mit dem ich nicht gerechnet habe. Zahlreiche Fotos sind so bei Spaziergängen entstanden, wo Motive plötzlich und ungeplant gekommen sind. Ich war zur richtigen Zeit aufmerksam am richtigen Ort und konnte mich auf das einlassen, was ich sah. Die Achtsamkeitsregel, im "Hier und Jetzt" zu sein, hilft dabei sehr.
Als begeisterter Fotograf bietet die Art des Reisens als "Slow Traveler" viele Vorteile bei der Motivsuche. Sich vom Augenblick leiten zu lassen, offen für Neues sein und nicht krampfhaft zu versuchen, vorgefasste Ideen fotografisch umzusetzen, führt teilweise zu überraschenden und beglückenden Ergebnissen. Das ist immer eine gute und motivierende Grundlage für alle weiteren “langsamen Entdeckungsreisen”.
Manchmal komme ich mit ganz vielen Bildern nach Hause, manchmal sind es nur wenige und manchmal bleibt nach Durchsicht der Speicherkarte auch kein einziges Foto übrig, das es mir wert wäre, aufbehalten zu werden. Aber mit jedem Spaziergang, mit jeder kleinen Reise nach dem Motto als "Slow-Traveler" unterwegs zu sein, ist der Kopf wieder frei, das Gehirn “durchgelüftet” und ich habe “quality time”, um im “Englischen” zu bleiben, in der Natur verbracht.
“Slow Traveling” ist für mich eine Quelle der Inspiration. Bewusst in Unbekanntes einzutauchen, das gar nicht weit weg sein muss, wenn möglich länger zu bleiben, wo es einem gefällt, auch wenn es nicht geplant war. Zeit für Besinnung und Reflexion zu finden. Einfach mal nichts tun, den Augenblick genießen.
Die österreichische Autorin Valerie Fritsch hat in einem Essay für die steirische Kleine Zeitung einmal den wunderbaren Begriff “Versommern" für eine ganzjährige Sehnsucht nach dem Sommer, das einfache Glück der Fülle und Überfülle, des Schönen in dieser Jahreszeit, gefunden. Die Nordeuropäer, die mit ihren Lebenstilkonzepten Begriffe wie “Hygge” oder “Lagom” auch in unsere Breiten brachten, kennen auch den Begriff “Niksen”, in dessem Zentrum das “Nichtstun” steht. In einer Wiese nach einer Wanderung zu sitzen und einfach in die Natur zu schauen und nicht irgendwelchen Gedankenstörungen nachzuhängen, das hat schon etwas.
Die "Wiederentdeckung der Langsamkeit“ ist in den letzten Jahren zu einem Trend bzw. zu einer Lebenseinstellung in vielen Lebensbereichen geworden. Neben "Slow Traveling" denke ich da auch an „Slow Food“, einem „bewussten bzw. genussvollen Essen“, bei dem regionale Herkunft und gute Qualität einen hohen Stellenwert hat. "Slow Fashion" zählt auch dazu, das für nachhaltigen Konsum von Kleidung steht. Hier geht es um einen sich verlangsamenden Konsum, damit Kleidung länger zu tragen, um in Folge bessere Bedingungen für Mensch und Natur zu schaffen und eine Modeindustrie, die genau das unterstützt bzw. umsetzt. Es gibt auch eine internationale Vereinigung von Städten, die sich unter dem Oberbegriff "Citta Slow" zusammengetan haben. Dabei geht es unter anderem um „Aufmerksamkeit, Ruhe, Bewusstsein, nachhaltigen Fortschritt und Verantwortung“.
Meine fotografische Reise sehe ich unter dem Überbegriff "Slow Photography". Viele würden darin wahrscheinlich analoge Fotografie oder ausschließlich Langzeitbelichtungen sehen. Für mich persönlich ist dieser Begriff aber nicht nur eng an diese beiden Arten der Fotografie gebunden.
"Nie ist zu wenig, was genügt" ist ein bekanntes Zitat von Seneca. Was ist wirklich wichtig? Worauf können wir verzichten?" Die Kunst des Weglassens, "minimal art" in der Fotografie hat mich in den letzten Jahren sehr angesprochen. Das Motiv in den Mittelpunkt zu stellen, störende bzw. vom Motiv ablenkende Elemente nicht mit einem Bildbearbeitungsprogramm wegretuschieren zu müssen, sondern gleich bei der Aufnahme darauf zu achten, es gar nicht auf das Bild zu bannen, ist eines meiner fotografischen Ziele. "Langsames Fotografieren" kann enorm viel Zeit in der Nachbearbeitung sparen.
Stephen Shore schreibt in seinem sehr lesenswerten Buch "Das Wesen der Fotografie", dass "die Fotografie in ihrem Wesen nach eine analytische Disziplin" ist. Er vergleicht die Arbeit des Fotografen mit der eines Malers. Ein Maler beginnt mit einem leeren Blatt Papier oder einer weißen Leinwand und beginnt das Bild zu skizzieren, zu zeichnen, zu malen. Was aber macht ein Fotograf?
Als Fotograf findet man selten weiße Flecken, die einem die Grundlage für ein zu fotografierendes Bild geben. Als Fotograf findet man Szenen vor, sei es auf der Straße oder in der Landschaft, die vorgegeben sind, wo man dann versucht nach den Regeln der Komposition den richtigen Bildausschnitt zu finden. Es gibt viele Bücher, die sich mit Bildkomposition beschäftigen und wahrscheinlich hat sich jeder, der ambitioniert fotografiert, schon mehr oder weniger intensiv mit diesem Thema beschäftigt.
"Der Fotograf schafft eine Ordnung durch die Wahl eines Blickwinkels, eines Ausschnittes und eines Aufnahmezeitpunktes, und er bestimmt eine Schärfeebene" schreibt Stephen Shore. Diese Sätze von Stephen Shore kommen mir immer wieder in den Sinn, wenn ich meine fotografische Arbeit auf "einfache" Motiven ausrichte. Etwas "einfach" zu machen, bedeutet in letzter Konsequenz, so viel wegzulassen, bis man nichts mehr streichen kann, ohne dass die Aussage darunter leidet. Also bis zu dem Punkt kommen, was ich zum Ausdruck bringen möchte. Einen Schritt weiter zu gehen, würde bedeuten, dass das, was ich ausdrücken möchte, nicht mehr erkennbar wäre.
Mit dem Medium der Fotografie Ordnung im Bild zu schaffen, ist nicht ganz einfach. Musiker, Maler, schaffen etwas, das bei "Null" beginnt. In der Fotografie finden wir etwas vor und versuchen aus verschiedenen Blickwinkel unser Bild zu komponieren. Wir üben uns oft in der Kunst des Weglassens. Wir bemühen uns eine Struktur zu schaffen. Das Herausfordernde und für mich dadurch Spannende, finde ich bei meiner Art der Landschaftsfotografie, immer wieder die Versuche diese Ordnung zu schaffen, weil ich einen minimalistischen Ansatz bei der Bildgestaltung anstrebe. Gerade in unseren Breiten ist die Landschaft ja häufig sehr unstrukturiert. Im Vergleich zur Fotografie von Menschen oder auch Stillleben, wo man ja "umarrangieren" kann, lässt sich in der Natur vieles nicht so leicht ändern. Wie oft treffe ich auf störende Elemente, die mir die Ordnung und somit die Komposition meines Bildes erschweren. Da ich nicht derjenige bin oder sein möchte, der seine Fotos stundenlang nachbearbeitet, habe ich mir zum Ziel gesetzt, das Bild so weit wie möglich bereits im Sucher "fertig zu machen". Hier sehe ich auch eine Gemeinsamkeit mit einem Maler. Wenn ich durch den Sucher meiner Kamera schaue, versuche ich ich manchmal ganz bewusst den Sucher wie die Leinwand eines Malers zu sehen und gleich auf Details zu achten, die ablenken, die stören. Das eigentliche Motiv mit dem Blick zu fixieren und durch den Wechsel des Aufnahmestandortes das Bild zu ordnen, zu strukturieren. Wie oft habe ich mich schon nachträglich geärgert, weil ich vor dem Auslösen zu nachlässig war, mir zu wenig Zeit gelassen habe und ich diese Struktur zu ungenau vorgenommen habe.
Zusammenfassend bin ich der Ansicht, dass, wenn in der Landschaftsfotografie Ordnung in die Bildkomposition gebracht werden muss, dies am besten durch einen Wechsel der Perspektive oder des Bildausschnittes geschieht. Umso wichtiger ist es, sich Zeit zu nehmen und die Umgebung des Motives zu erkunden, um den richtigen Aufnahmestandpunkt zu finden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich eine Lichtsituation einen Meter weiter schon stark verändert haben kann. Bodennahe Aufnahmen des gleichen Motivs lassen es ganz anders aussehen, als aus Augen- oder Hüfthöhe und auch nur wenige Schritte links oder rechts lassen vielleicht störende Elemente verschwinden... .
So wie "Slow Traveling" bewusstes und langsames Reisen beschreibt, ist meine "Slow Photography" sehr bewusstes Fotografieren. Mein persönlicher Zugang ist Bilder zu "machen" und nicht zu "schießen". Meine Leitsätze für meine fotografische Arbeit sind:
"Konzentration auf das Motiv".
"Das Mehr im Weniger im Fokus".
"Einfachheit als Weg zum Wesentlichen".
Betrachtet man die Synonyme zu "einfach", kommen einem vielleicht "anspruchslos", "gewöhnlich", "bedürfnislos", "langweilig"..., aber auch "schlicht", "bodenständig", "ursprünglich" und viele mehr in den Sinn. Für mich bedeutet ein "einfaches" Foto, dass es "gemacht" worden ist. Es ist dem ein kreativer Prozess vorausgegangen, Zeit investiert und Überflüssiges weggelassen worden. Das Motiv steht für sich alleine und sticht so vielleicht aus der Masse der Bilder heraus.
Motive zu entdecken und nicht gleich abzudrücken, sondern sich darauf mit allen Sinnen einzulassen, das ist für mich "Slow Photography". Henri Cartier-Bresson hat einmal gesagt, dass ein gutes Foto ein Foto ist, auf das man länger als eine Sekunde schaut. Und das war noch zu einer Zeit, wo es noch nicht diese Bilderflut gegeben hat, die heute über die verschiedenen soziale Kanäle auf uns einprasselt, wo ein einzelnes Bild hart kämpfen muss, um von uns wahrgenommen zu werden. Wenn die Augen der Betrachter*innen meiner Bilder also etwas länger auf meinen Bildern verweilen, wenn die Bilder ihnen etwas erzählen, wenn sich für sie etwas widerspiegelt, was ich zum Ausdruck bringen wollte, dann habe ich mein Ziel erreicht, das ich mir mit meiner Art zu fotografieren, gesetzt habe.
Anmerkung: Teile dieses Textes stammen aus mehreren bereits veröffentlichten Blogbeiträgen von meinem Blog: www.bildausschnitte.at